Die europäische Kulturgeschichte brachte immer wieder soziale und ästhetische Modelle hervor, die den Eliten erlaubten, sich im Rahmen oder auch in Konkurrenz zu einer vorherrschenden Gesellschaftsordnung als imaginäre Gemeinschaften zu inszenieren. Im 18. Jahrhundert kommt eine solche gemeinschaftsstiftende Funktion bekanntlich den unscharf definierten Ideen wie „honnêteté“, „taste“ und „Geschmack“ zu. Ihre sozio-kulturelle Wirksamkeit bestand darin, dass eine Person nicht mehr allein aufgrund ihrer Herkunft definiert wurde, sondern durch ihre jeweilige Präsenz und individuelles Verhalten als ein „honnête homme“, als „gentleman“ bzw. „gentlewomen“ oder als „Mann und Frau von Geschmack“ bestimmbar war. Im Wechselspiel mit diesen frühneuzeitlichen Idealvorstellungen entwickelte sich ein weiteres sozial-ästhetisches Modell: Die „Eleganz“ setzte das Wirkungspotenzial solcher opaker und dennoch kulturell verbindlicher Ideale in die neueren Zeiten fort. Damit mischte sich in die Reihe der Schlüsselbegriffe des modernen 19. Jahrhunderts – wie das „Schöne“ für Ästhetik und Kunst oder „Bildung“ für Wissen und Gesellschaft – eine neue Kategorie ein, die ihre Wirkungskraft aus der Verbindung von Ästhetik und Gesellschaft entfaltete.

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Prämissen

Die Untersuchung geht von der sozial- und medienhistorisch orientierten Prämisse aus, dass in dem Phänomen der Eleganz eine der zentralen Kulturpraktiken der Moderne, die Ästhetisierung des Realen, ihre verbindliche Gestalt annimmt.

Unter dem Vorzeichen des Eleganten formierte sich im 19. Jahrhundert ein Phänomen, das eine Steigerung des Lebens durch Ästhetisierung versprach. Die sozialen und ästhetischen Effekte der Eleganz kamen in der Verwirklichung eines Lebensstils zum Vorschein, der sich durch Urbanität und Modernität auszeichnete. Die äußeren Merkmale einer eleganten Erscheinung entfalteten sich sowohl in der Präsentation einer Person (durch Sprache, Kleidung und den Habitus), als auch in der Gestaltung der privaten und öffentlichen Lebensräume, die durch Architektur und Interieur sichtbar gemacht wurden. Unter den Bedingungen von kommunikativer Rückerstattung und performativer Umsetzung verdichteten sich die Merkmale der Eleganz zu einem lebensstilbildenden Konzept der sogenannten „eleganten Welt“ und wurden im sozialen Handeln durch die Beteiligung an spezifischen kulturellen Praktiken, insbesondere der Geselligkeit, Unterhaltung und Freizeit, realisiert.

Damit ist eine kulturhistorische Entwicklung umrissen, die die rhetorische Regel der elegantia, – das Ideal eines reinen und klaren Ausdrucks und einer angenehmen Erscheinung -, zu einer umfassenden Ästhetisierung des Lebens transformierte. Diese Kulturpraktik inaugurierte eine spezifische Ästhetik der Oberfläche als soziales Distinktionsmerkmal, wobei die Angemessenheit und Annehmlichkeit der Gesamterscheinung (d.h. die äußere Eleganz der rhetorischen Stillehre) mit der weitergreifenden Forderung nach gewählten und vornehmen Formen des gesellschaftlichen Umgangs einherging (im Sinne des humanistischen Ideals der elegantia morum).

Mit dem Blick auf die Veränderungen in der historischen Semantik geht das Projekt der Frage nach, ob und wie die Rede über die Eleganz zwischen der höfischen Kultur und den kulturellen Praktiken der modernen Urbanität vermitteln konnte. Denn in den ästhetischen und sozialen Szenarien der Eleganz wurden ausgewählte Formen der gesellschaftlichen Kommunikation, der Repräsentationskultur und der geselligen Praktiken höfischer Kulturen aufgegriffen und unter Vorzeichen der Moderne in anderen Medien, mit anderen Akteuren und in anderen Milieus neu entworfen. Als Ästhetisierung des Lebens vermochte das Konzept der Eleganz ein eigenes Angebot zu formulieren, in dem die traditionelle Gegenüberstellung von Hof und Stadt, von courtesy und urbanitas scheinbar negiert wurde. Damit wurde ein gesellschaftlicher Entwurf abseits tradierter Ordnungen bereitgestellt: eine imaginäre Gemeinschaft moderner urbaner Provenienz.

Als zentral für die Argumentation der Untersuchung erweist sich die divergierende Tendenz, die sich innerhalb der Konzeptbildung einer ‚eleganten Welt’ bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausmachen lässt: Einerseits vollzieht das Modell des Eleganten eine Inklusionsbewegung, indem es auf einen breiten Adressatenkreis, ein anonymes Publikum, eine gemischte Gesellschaft abzielt und dabei ständische Grenzen und Geschlechterordnungen negiert. Andererseits ordnet sich die mediale Konstruktion einer imaginären Gemeinschaft der Eleganten einem Imperativ der vollkommenen Verschönerung unter. Dieses nimmt die Form einer ästhetischen Arbeit an, die sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckt und zunehmend den Charakter des Exklusiven für sich beansprucht.

Im Gegensatz zu der Kulturtechnik der Mode, die ihre moderne Ausformung ebenfalls im 19. Jahrhundert annimmt und durch den ständigen Wechsel ein Angebot an gruppenbildenden Funktionen und Stilen bereithält, geht mit der Konzeptbildung der Eleganz – so eine weitere Prämisse des Vorhabens – ein kulturelles Versprechen der strukturellen und ästhetischen Dauer einher. Aus diesem Versprechen heraus wird die Eleganz als soziokulturelle Praktik besonders in den Situationen des gesellschaftlichen Wandels attraktiv, weil sie Kontinuität zu erzeugen und diese in dem Lebensstil einer Gemeinschaft zu aktualisieren und zu tradieren vorgibt.


Übersicht über die Veröffentlichungen aus Themenbereich der Untersuchung